Im Oktober 2020 bekam die damals 13-jährige Lauryn Licari aus Beal City von einer unbekannten Nummer merkwürdige Nachrichten. Auch ihr Freund Owen war betroffen, die beiden hatten sich ein Jahr zuvor in der 7. Klasse kennengelernt. Bei den Nachrichten handelte es sich offensichtlich nicht einfach nur um den üblichen Spam. Stattdessen enthielten sie persönliche Informationen, intime Details – und akute Drohungen.
Nach einer kurzen Pause steigerten sich die Nachrichten dann im Oktober 2021 bis zu einem massiven Ausmaß. Zeitweise sollen es bis zu 50 am Tag gewesen sein, die am Ende mehr als 1000 Seiten Text ergaben. Darunter waren Beleidigungen – auch sexueller Natur –, zusehends gewalttätige Drohungen und diverse Nachrichten, die den Eindruck vermittelten, dass die beiden Teenager rund um die Uhr gestalkt wurden. Bald ermittelte die Polizei und sogar das FBI, wobei zunächst Lauryn Licaris Mitschülerinnen und Mitschüler in Verdacht gerieten, bis die Behörde herausfand, dass es sich bei der Täterin in Wahrheit um ihre eigene Mutter handelte.

Netflix-Doku „Unknown Number“ behandelt bekannten Fall aus Michigan
Der Fall sorgte vor allem in den USA für Aufsehen, nachdem Lauryns Mutter Kendra Licari dann 2022 verhaftet worden war. Sie wurde wegen Stalkings von Minderjährigen zu 19 Monaten Haft verurteilt. Im August 2024 durfte sie die Haft auf Bewährung entlassen; der direkte Kontakt zu ihrer Tochter ist ihr allerdings noch bis mindestens 2026 untersagt. Viele zeigten sich von dem Fall und dem Vertrauensbruch innerhalb einer Familie erschüttert und fragten sich, was die Motive der Täterin waren.
Jetzt sprach Kendra in der Netflix-Doku „Unknown Number: The High School Catfish“ erstmals über ihre Beweggründe. Zum einen gibt sie an, dass die ersten Nachrichten nicht von ihr gekommen seien. Vielmehr sei es ihr dann später darum gegangen, den wahren Absender oder die Absenderin zu entlarven. Durch die Nachrichten habe sie auch den Freundeskreis ihrer Tochter aufscheuchen wollen, in der Hoffnung, dass das weiterhelfen könnte. „Anfangs war es meine Intention, Antworten zu bekommen“, erklärt sie in der Netflix-Doku. „Aber dann machte ich einfach weiter.“

Ermittler vermuten bei Mutter Kendra das Münchhausen-Syndrom
Bei den späteren Nachrichten sei sie mental jemand anderes und „an einem schrecklichen Ort“ gewesen. Irgendwann sei das Schreiben ein wesentlicher Teil ihres Alltags geworden. Zum anderen beschreibt Kendra das Schreiben der Nachrichten als Flucht vor der Realität. Dabei nutzte sie bewusst das Wissen aus, das sie über ihre Tochter hatte, indem sie etwa ihre Unsicherheiten bezüglich ihres Aussehens gegen sie verwendete. Sie gibt allerdings auch an, dass sie ihre Tochter damit vor traumatischen Ereignissen, wie sie ihr selbst in ihren Teenager-Jahren zugestoßen seien, bewahren wollte.
Ein Experte äußert auch innerhalb der Doku die Vermutung, dass Kendras Verhalten eine Art „Cyber-Münchhausen“ war. „Sie wollte, dass ihre Tochter sie so sehr braucht, dass sie bereit war, ihr zu schaden.“ Normalerweise schaden die Personen ihren Kindern dann körperlich, sodass diese etwa krank werden, wodurch sich das Elternteil – meistens die Mutter – in ein besonders gutes und kümmerndes Licht rücken kann. Kendra wählte einen anderen Weg und fügte ihrer Tochter psychischen Schaden zu.
Lauryn ist sich bis heute nicht sicher, ob sie ihrer Mutter glauben soll, dass die ersten Nachrichten nicht von ihr kamen. Die inzwischen 18-Jährige hadert mit dem Verhältnis zu Kendra, das sie selbst zwiespältig sieht. Während der Haftstrafe telefonierten die beiden noch viel und Lauryn Licari betont, ihre Mutter weiterhin zu lieben, dass sie aber auch hoffe, dass diese die Hilfe bekomme, die sie brauche. Auf dem College möchte sie nun Kriminologie studieren.